plag dich nicht – buch und musik, 2026
Herausgegeben von Alexander de Goederen
Designed von Stephan Pfeffer
Covergestaltung von Michael Holzer
Epilog von Christian Fleck
Landkarten von Stephan Pfeffer
Lektorat Oliver Eisl
168 Seiten
26 Abbildungen
kartoniert, Schweizer Einband
ISBN: 978-3-9519711-8-6
Preis: EUR 20,-

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Josef Finster, 1916

Josef Finster

Eine Recherche.

Bad Ischl.
Linz.
Dachau.
Flossenbürg.

Josef Finster, 1900-1941, ist in Linz geboren. Die Familie kommt aus dem Salzkammergut. Er steht für die bis heute wenig beachteten Frauen und Männer, die als Tagelöhner in prekären Verhältnissen lebten. Das NS-Regime deportierte ihn, der in der Vergangenheit mindere Haftstrafen abgebüßt hatte, als „Berufsverbrecher“ in ein Konzentrationslager. Von dort kehrten nur wenige lebend zurück. Ihre Familien sowie die Nachkriegsgesellschaften vergaßen diese Opfer des Nationalsozialismus aus Scham und Eigennutz.
Dieses Buch schildert, was seine Großnichte über ihn in Erfahrung bringen konnte.

Kurzinformation

Am frühen Morgen des 14. Juni 1938, einem Dienstag, holte die Linzer Kriminalpolizei Josef Finster aus seinem Bett in der Derfflingerstraße 13. Die Polizisten nahmen den damals 38-jährigen Mechaniker und Hunderte andere Menschen in „Vorbeugungshaft“. Dazu ermächtigte sie ein staatlicher Sondererlass, wonach „ein schlagartiger Zugriff auf alle gefährlichen Berufs- und Gewohnheitsverbrecher durchzuführen“ sei. Wegen kleinerer Delikte stand Josef Finster in den 1920er- und frühen 1930er-Jahren mehrfach vor Gericht. Das genügte den Behörden in Österreich, wo im März 1938 die NSDAP die Macht übernahm, um Josef Finster zu verhaften und ihn in das Konzentrationslager Dachau zu deportieren. Die Gestapo überstellte ihn wenige Tage später in das Konzentrationslager Flossenbürg im Bayrischen Wald, wo Josef Ende November 1941 zu Tode kam.


Die Autorin des Buches, Waltraud Kannonier-Finster, über das Projekt, die Lebensgeschichte des Großonkels zu recherchieren und zu publizieren. „Für mich ist wichtig, mit dem Schweigen in der Familie um Josef Finster zu brechen.“ Durch jahrelange Nachforschungen in vielen Archiven ist es gelungen, eine ganze Reihe von Daten über Josef und seine Lebensumstände zusammenzutragen. Mit dem Buch soll er nicht nur als ein Opfer des Nationalsozialismus dargestellt werden, sondern als Mann, der – aus einfachen Verhältnissen kommend – vor seiner Ermordung ein zwar karges, aber doch ein Leben geführt hat. Ergeben haben die Recherchen auch, dass der Großonkel nicht wegen einer konkreten gesetzwidrigen Handlung in ein Konzentrationslager gebracht worden sei. „Die Verhaftung erfolgte wegen des bloßen Verdachts, gefährlich zu sein und zukünftig wieder Straftaten zu begehen. Ihm und anderen, denen Ähnliches zugestoßen ist, soll eine Lebensgeschichte gegeben werden.“ Das mache es schwieriger, Personen und Gruppen zu stigmatisieren, „die es – aus welchen Gründen immer – im Leben schwer hatten, aber dennoch versuchten, mit den Widrigkeiten des Lebens zurecht zu kommen.“

Aus dem Epilog von Christian Fleck

Wer im 20. Jahrhundert nicht älter als 41 Jahre wurde, ging weniger schnell in Vergessenheit, wenn seinem frühen Tod Ruhm zugeordnet werden konnte oder er als Teil einer erinnerungswürdigen Katastrophe sein Ende fand: Kriegerdenkmäler symbolisieren das eine, der Untergang eines Luxusdampfers motivierte Jahrzehnte danach einen Drehbuchautor, einen Zwischendeckreisenden in eine Romanze über die Klassen hinweg zu verwickeln — und so diesen Jack Dawson der Nachwelt (wohl auch dank der Hilfe von Leonardo DiCaprio) mehr in Erinnerung zu halten als die ertrunkenen Passagiere der echten Titanic. Aber damit sind wir schon im Reich der Imagination, deren handwerkliche Virtuosen naturgemäß mehr zu erzählen haben als die an Fakten gefesselten Forschenden der Humanwissenschaften.

Was Josef Finster damals höchstwahrscheinlich nicht wusste — und möglicherweise auch in den folgenden Tagen und Wochen erst Zug um Zug realisierte —, war, dass er gezielt zum Opfer einer neuen Politik des neuen politischen Regimes geworden war. Die heimischen Nazis hatten erst drei Monate davor dank der Hilfe ihrer reichsdeutschen Gesinnungsgenossen die Macht in Österreich an sich gerissen, was Josef Finster nicht entgangen sein wird. Dass diese Machtübernahme für ihn tödliche Folgen haben sollte, war ihm hingegen ziemlich sicher nicht bewusst. Die neuen Machthaber bedienten sich jedoch nicht nur der alten Polizei, sie setzten dort auch ihre radikalen Vorstellungen präventiver Kriminalpolitik durch.

Einen Mangel an Fürsprache erlebten die „Berufsverbrecher“ auch nach dem Ende des KZ-Systems. Die überlebenden „Grünen“ wurden als Kollektiv von den sprachmächtigeren Überlebenden weiterhin an den Rand der Erinnerung gedrängt und von jeglicher Rehabilitation ausgeschlossen. Jeden „Grünen“ trafen die Vorurteile, die Randständige zu ertragen hatten (und haben): Sie werden von der Mehrheit der Anständigen und Konformen stets nach den Missetaten der Übelsten ihrer Gruppe beurteilt. Norbert Elias und John L. Scotson sprechen von der „Minorität der

Schlechtesten“, deren zweifelhafter Ruf benutzt wird, um alle aus der größeren Gruppe von Außenstehenden zu diskreditieren. Schändlicherweise bedienten sich die die Erinnerungen prägenden KZ-Überlebenden von Anfang an dieser stigmatisierenden Rhetorik, wenn sie über die „Grünen“ urteilten.

Erst in allerjüngster Vergangenheit finden wir Bemühungen, die Macht des Stereotyps der Minorität der Schlechtesten zu relativieren, und jene Misshandelten und Gequälten unter den KZ-lern, die auch noch nach der Befreiung diskreditiert wurden und denen Haftentschädigung und soziale Anerkennung vorenthalten wurden, in ein besseres, ein angemessenes Licht zu rücken. Das vorliegende Buch ist ein Beitrag zu diesem Bemühen.

Über die Autorin und den Autor

Foto © Michael Holzer

Waltraud Kannonier-Finster

Berufstätigkeit als Buchhändlerin; Studium der Soziologie in Linz, Assistenzprofessorin am Institut für Soziologie der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck, Promotion 1995.

Arbeitsschwerpunkte: Biografieforschung, Erinnerungskulturen.

Publikationen u. a.: Frauen-Leben im Exil. Biographische Fallgeschichten. Wien, Köln: Böhlau. 1996; Eine Hitler-Jugend. Sozialisation, Biographie und Geschichte in einer soziologischen Fallstudie. Innsbruck: Studienverlag. 2004.

Meinrad Ziegler

Studium der Soziologie an der Universität Linz, Promotion 1988, Vertragsassistent am Institut für Soziologie der Johannes Kepler Universität Linz, ab 2000 außerordentlicher Universitätsprofessor.

Arbeitsschwerpunkte: Methodologie der qualitativen Sozialforschung und Biografieforschung.

Publikationen u. a.: Das soziale Erbe. Eine soziologische Fallstudie über drei Generationen einer Familie. Wien, Köln, Weimar: Böhlau. 2000.

Gemeinsame Publikationen u. a.: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien, Köln: Böhlau. 1993, erweiterte Neuausgabe Innsbruck: Studienverlag. 2016; Ohne Filter. Arbeit und Kultur in der Tabakfabrik Linz. Innsbruck: Studienverlag. 2012; seit 2017 gemeinsam mit Johann Bacher Herausgabe einer fünfbändigen Marie Jahoda-Edition.